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Bild: Markus Scholz | Leopoldina

Prof. Dr.

Reinhard Selten

Nobelpreis für Ökonomie 1994

Wahljahr: 2012
Sektion: Ökonomik und Empirische Sozialwissenschaften
Stadt: Bonn
Land: Deutschland
CV Reinhard Selten - Deutsch (PDF)
CV Reinhard Selten - Englisch (PDF)

Forschung

Reinhard Selten war ein deutscher Mathematiker, Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger. Er arbeitete auf dem Gebiet der Experimentellen Ökonomie und befasste sich vor allem mit Theorien der eingeschränkten Rationalität sowie der Spieltheorie und ihrer Anwendung.

Zunächst entwickelte er normativen Theorien, in deren Rahmen die Akteure als vollständig rational Handelnde vorausgesetzt wurden. Diese Arbeiten ergänzte er mit Forschungen zu deskriptiven Theorien, mit deren Hilfe sich das Verhalten von Akteurinnen und Akteuren erklären lässt. Zu Beginn der 1980er Jahre führte er die experimentelle Wirtschaftsforschung in die Wissenschaft ein. Damit gilt er gemeinsam mit dem Ökonomen und Soziologen Heinz Sauermann als Begründer dieser Richtung in Deutschland. Im Rahmen seiner Experimente ließ er Probandinnen und Probanden in einer kontrollierten Umgebung wirtschaftliche Entscheidungen treffen. Ziel war es, dabei neue Theorien zu entwickeln, mit deren Hilfe sich das lediglich begrenzt rationale Verhalten der Probanden besser beschreiben und vorhersagen lässt.

Für seine Arbeiten zur Spieltheorie erhielt er als bisher einziger Deutscher gemeinsam mit dem US-amerikanischen Mathematiker John Forbes Nash Jr. und dem ungarisch-US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler John Harsanyi 1994 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften, der offiziell unter der Bezeichnung „Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften“ firmiert.

Werdegang

Reinhard Selten studierte bis 1957 Mathematik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Im Anschluss war er dort bis 1967 als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem Ökonomen und Soziologen Prof. Heinz Sauermann tätig und promovierte 1961 im Bereich Mathematik.

Von 1967 bis 1968 hatte er eine Gastprofessur an der School of Business Administration an der University of California at Berkeley, USA inne. 1968 folgte die Habilitation in Wirtschaftswissenschaften wiederum an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. 1969 erhielt er einen Ruf auf eine Professur am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Freien Universität Berlin. 1972 folgte er einem Ruf auf eine Professur an das Institut für Wirtschaftsmathematik der Universität Bielefeld. 1984 wurde er Professor am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Dort forschte er bis zu seinem Tod im Jahr 2016.

Auszeichnungen und Mitgliedschaften

Für seine wissenschaftlichen Arbeiten erhielt Reinhard Selten zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften (1994), das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland (1995), den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen (1996), den Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen (2000) sowie den Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste (2006).

Universitäten im In- und Ausland verliehen ihm die Ehrendoktorwürde, darunter die Universität Bielefeld (1989), die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main (1991), die Universität Graz, die Universität Wroclaw und die Jiaoton-Universität Shanghai (alle 1996), die Norwich University Northfield, USA (1997), die École normale supérieure de Cachan, Paris (1998), die Universität Innsbruck (2000), die University of Hong Kong (2003), die Universität Osnabrück (2006), Georg-August-Universität Göttingen (2009) sowie die Universität Białystok (2010). Darüber hinaus wurde er 2007 Ehrensenator der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Reinhard Selten war Mitglied vieler wissenschaftlicher Vereinigungen und Akademien, darunter der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste, der Academia Europaea (1990) und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina (2012). Außerdem war Selten Mitglied der Econometric Society und der European Economic Association (EEA), der er viele Jahre als Präsident vorstand.

Darüber hinaus war er Gründungsmitglied der Internationalen Akademie der Wissenschaften von San Marino, Außerordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und Auswärtiges Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Sciences (1992) sowie der National Academy of Sciences (1996) und Ehrenmitglied der American Economic Association (AEA).

Nobelpreis

Reinhard Selten wurde 1994 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für zwei Arbeiten ausgezeichnet, die er bereits 1965 beziehungsweise 1975 veröffentlicht hatte. Damit gelang ihm ein entscheidender Durchbruch in der Spieltheorie: In der ersten Arbeit entwickelte er das Konzept des teilspielperfekten Gleichgewichts, das eine Verfeinerung des Nash-Gleichgewichts darstellt. Letzteres ist ein zentraler Begriff der Spieltheorie und geht auf den US-amerikanischen Mathematiker John Forbes Nash jr. zurück. Es beschreibt eine Kombination von Strategien. Zentraler Punkt: Jeder Teilnehmende wählt im Spiel eine Strategie, von der aus es für keinen der Beteiligten sinnvoll ist, als einziger von seiner gewählten Strategie abzuweichen.

In der zweiten Arbeit schuf Reinhard Selten dann das Konzept des Trembling-hand-perfekten Gleichgewichts. Es wurde unter dem Namen „A Model of Slight Mistakes“ veröffentlicht. Damit sollte die Anfälligkeit eines Gleichgewichts gegenüber den Fehlern eines Spielers bzw. einer Spielerin ermittelt werden. Gemäß Seltens Theorie werden im Spiel solange keine Fehler gemacht, wie die Spielenden rational handeln. Diese Annahme stößt in der Realität jedoch auf die Möglichkeit falscher Entscheidungen eines Gegenspielers, die einbezogen werden müssen.

Die Einführung beider Konzepte in die wissenschaftliche Praxis reduzierte die Menge der Nash-Gleichgewichte drastisch, indem nicht glaubwürdige Drohungen ausgeschlossen werden konnten. Auf diese Weise lassen sich für viele Spiele, zum Beispiel auch Märkte, präzisere und sinnvollere Vorhersagen treffen. Seltens Arbeiten trugen wesentlich zur Anwendbarkeit der Spieltheorie auf weite Teile der Wirtschaftstheorie bei. Außerdem fand die Spieltheorie damit Anwendungen in den Sozialwissenschaften und sogar in der Biologie.

Zur Person

Reinhard Selten kam am 5. Oktober 1930 in Breslau (heute Wroclaw) zur Welt. Sein Vater war jüdischen Glauben und betrieb trotz seiner frühen Erblindung einen Verleih von Presseartikeln nach dem Vorbild eines Lesezirkels. Mitte der 1930er Jahre war er durch die Gesetzgebung des nationalsozialistischen Regimes gezwungen, das Geschäft aufzugeben. Er starb 1942 nach schwerer Krankheit.

Sohn Reinhard galt als „Halbjude“ und musste deshalb das Gymnasium verlassen. 1945, kurz bevor in Breslau der Zugverkehr unterbrochen wurde, verließ er mit Mutter, Brüdern und Schwester seine Heimatstadt, aus Furcht vor der herannahenden Roten Armee. Die Familie gelangte über Stationen in Sachsen und Österreich nach Nordhessen, wo Reinhard Selten 1951 am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Melsungen sein Abitur mit Auszeichnung bestand.

1959 heiratete er Elisabeth Langreiner, die er bei seinen Aktivitäten für die internationale Plansprache Esperanto kennengelernt hatte. Das Paar blieb kinderlos und lebte in Königswinter bei Bonn. Beide sprachen Esperanto und engagierten sich gemeinsam für die Verbreitung und Nutzung dieser Sprache. Selten selbst verfasste sogar einige Bücher auf Esperanto. 2009 kandidierte er als deutscher Spitzenkandidat für die Liste „Europa – Demokratie – Esperanto (EDE)“.

Der Verein für Socialpolitik Berlin vergibt jährlich den nach ihm benannten Reinhard-Selten-Preis an junge Autorinnen und Autoren. Darüber hinaus gibt es seit 2019 auf einem Campus der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn die Reinhard-Selten-Straße.

Reinhard Selten starb am 23. August 2016 in der polnischen Stadt Poznan.

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